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Interview mit HANNAH JOY von MIDDLE KIDS (18.03.2021)
Die australischen Indie-Superhelden MIDDLE KIDS haben es gut. Zum einen, weil das zweite Album „Today We're The Greatest“ gerade eben noch vor der Corona-Krise fertiggestellt werden konnte, und zum anderen, weil Australien ja bekanntlich recht gut durch die Pandemie gekommen ist und bereits wieder mit Veranstaltungen unter Publikumsbeteiligungen experimentiert. Obendrein sind Frontfrau/Songwriterin HANNAH JOY und ihr Partner TIM FITZ (der neben Drummer HARRY DAY das dritte feste Mitglied der MIDDLE KIDS ist) inzwischen stolze Eltern geworden und außerdem ist in Australien gerade Sommer (was sich z.B. dadurch äußert, dass während des Gespräches im Hintergrund die Grillen zirpen). Vom Timing her haben die MIDDLE KIDS – die übrigens so heißen, weil HANNAH und TIM beides mittlere Kinder sind – also alles richtig gemacht. HANNAH erklärt uns, wie das alles zusammenpasst.
Ihr habt ja verdammtes Glück gehabt, was das Timing eures neuen Albums angeht, oder?
Ja, genau. Die meisten der neuen Songs habe ich Ende 2019 – nach der Tour zu unserer EP 'New Songs For Old Problems' geschrieben. Ich war damals nämlich hochschwanger und dachte mir, dass wir noch schnell das Album fertig stellen sollten, bevor das Baby käme. Ein paar der Tracks sind aber auch ältere Songs, an denen ich mich über die Jahre immer mal wieder versucht hatte und welche ich bis dahin einfach nicht fertig bekommen hatte. 'Questions', unsere letzte Single, ist sogar schon zwei Jahre alt. Mir war aber schnell klar, dass daraus eine runde Sache werden könnte.
Ein Lockdown-Projekt ist das neue Album aber nicht, oder?
Nein, wir hatten da schon ziemlich Glück, weil die Triebfeder für uns das Baby war – und nicht die Pandemie. Wir konnten sogar noch nach L.A. fliegen und das Album dort sehr schnell einspielen. Ich bin froh, dass wir das gemacht haben, denn als wir dann nach Sydney zurückkehrten, bekam ich das Baby und zwei Wochen später ging die Pandemie los. Das Ganze war also sozusagen präventiv passiert.
Jetzt geht es aber in Australien langsam wieder besser in Bezug auf die Pandemie, oder?
Ja, ich denke wir haben es ganz gut. Es werden jetzt die ersten Geschäfte langsam wieder geöffnet und es wird alles wieder besser.
Die EP „New Songs For Old Problems“ war ja vergleichsweise lebensbejahend und poppig. Das neue Album ist jetzt aber wieder eher nachdenklich und melancholisch. How come?
Ja – ich bin in letzter Zeit einfach viel trauriger gewesen. Nein, im Ernst: Die Songs unserer ersten EP entstanden, als wir in den USA auf Tour waren. Deswegen waren diese Songs schwer beeinflusst von den großen Gesten amerikanischer Rockmusik. Dieses Mal hatte ich viel mehr Raum, die Songs zu schreiben. Ich bin zum Beispiel viel am Strand unterwegs gewesen und ich denke, dass die neuen Songs dann deshalb einfach nachdenklicher ausgefallen sind. Tatsächlich ist vieles jener Musik, die mir gefällt, auch eher melancholisch und emotional. Die Rolle der Musik für mich ist die, mich mit meinem Herzen zu verbinden. Damit musste ich mich für diese Scheibe etwas intensiver beschäftigen, etwas tiefer in dieser Gefühlsebene herumstochern und die Sache ruhiger und emotionaler angehen. Das habe ich ziemlich bewusst so gemacht, denke ich.
Gibt es denn ein Thema auf dem Album, das sozusagen alles zusammenhält?
Ich würde sagen, dass es – neben der Erkenntnisse aus dem Titeltrack, dass das Leben sowohl schmerzhaft wie schön sein kann – um Beziehungen im weiteren Sinne geht. Nicht nur romantische Beziehungen, sondern auch unsere Beziehung mit uns selbst, unsere Beziehung zur Erde oder unserem Glauben. Egal, ob es um kleine Details oder große Konzepte geht, beschäftigt sich unsere Musik immer mit der Suche nach einer Bedeutung und wie sich das auf unsere Beziehungen auswirkt.
Geht es denn nicht auch um das Thema Akzeptanz?
Ja, das ist ein interessanter Aspekt. Man bekommt ja von der Gesellschaft immer wieder die Botschaft vermittelt, dass man perfekt sei, so wie man ist. Ich denke aber, dass das überhaupt nicht wahr ist. Man ist ja eben nicht perfekt. Aber das ist ja auch durchaus okay. Es geht um die Erkenntnis zu akzeptieren, dass wir alle irgendwie einerseits gebrochen sind – andererseits aber auch sehr schön. Ich denke, wir müssen fortwährend lernen, in diesem Spannungsfeld zu leben. Man muss natürlich immer auf das Beste hoffen, aber zugleich auch akzeptieren, dass das Leben ziemlich schmerzlich und unschön sein kann. Wenn man das nicht akzeptiert, dann wird es nämlich einfach zu viel.
Was war eigentlich der Grund für Dich, Songwriterin zu werden?
Das ist eine gute Frage. Ich habe ziemlich jung angefangen, Klavier zu spielen und stets eine starke Verbindung zur Musik verspürt. Ich bin mit drei Brüdern aufgewachsen und konnte oft nicht mit denen spielen, weil sie ihren Jungens-Kram gemacht haben. Stattdessen habe ich Klavier gespielt und mich mit Musik beschäftigt. Die Musik war die Begleiterin meiner Jugend. Ich habe dann auch irgendwann begonnen, Songs zu schreiben, die sozusagen aus mir herausgeflossen sind. Das hat dann irgendwie nie mehr aufgehört. Songs und Musik waren immer meine besten Freunde. Aber das hat mich auch immer festgehalten. Ich wollte das eigentlich gar nicht – aber es lässt mich einfach nicht mehr los.
Du sagtest ja einmal, dass Deine Musik die Zuhörer lieben solle. Was meinst Du damit?
Das ist irgendwie meine Art zu beschreiben, was ich als Schönheit in der Welt betrachte. Ich schreibe meine Musik zwar hauptsächlich für mich selbst – aber auch für andere. Wenn ich z.B. Songs singe, dann merke ich manchmal erst in dem Moment, was ich dadurch fühle – und das hilft mir, mich mir selbst gegenüber zu offenbaren. Aber als ich aufwuchs, gab es immer Künstler meines Alters, die mir zuzurufen schienen: 'Ich sehe Dich, ich bin mit Dir, ich weiß, was Du fühlst'. In diesem Sinne mag ich es, Gedanken zu äußern, die auch für andere relevant sein könnten.
Du stellst in Deinen Songs ja viele Fragen – nicht nur in dem Single-Titel „Questions“. Würdest Du von Dir sagen, dass Du eine philosophische Ader hast?
Also ich denke das definitiv schon. Die Fragen der Songs beziehen sich aber eher darauf, dass ich selbst versuche, die Botschaften darin zu entschlüsseln und mich frage, was ich eigentlich sage. Die Musik ergibt sich dadurch erst. Ich suche nämlich selten nach bestimmten Klängen oder Akkorden, sondern beginne mit dem Prozess des intensiven Nachdenkens – und versuche dann erst, das Ganze musikalisch zu verpacken.
Und wonach suchst Du dann musikalisch?
Das ist eine gute Frage. Eigentlich höre ich mir gar nicht so viel Musik an – außer vielleicht klassische Musik. Meistens habe ich also gar keine Ahnung von dem, was gerade angesagt ist. Ich sage mal so: Wenn ich TIM nicht hätte – der auch viel produziert – würde unsere Musik sicher nicht so genießbar sein. Er fügt alles zusammen und er ist auch eine Art Songmaschine, denn er hört den ganzen Tag Musik und weiß genau, was passiert. Es ist also ein guter Mix von dem, was da rau und organisch von mir kommt und Tims Fähigkeit, das dann hörbar zu machen. Ich brauche dann ja auch keinen Regeln zu folgen – weil ich ja gar nicht weiß, was die Regeln sind.
Was ist denn denn das schwierigste an diesem Prozess?
Die größte Herausforderung für mich, ist eigentlich, etwas zu Ende zu bringen - und dann loszulassen. Und es ist auch eine Herausforderung, jeweils noch ein wenig tiefer zu bohren und sich in Gebiete vorzutasten, in denen man sich nicht mehr so sicher fühlt.
Vor kurzem spielten die MIDDLE KIDS – zusammen mit anderen australischen Acts wie STEVE KILBEY von THE CHURCH, HATCHIE und PAUL DEMPSEY von SOMETHING FOR KATE – eine Coverversion von "Streets Of Your Town" von den GO-BETWEENS. Das bringt uns zu der Frage, ob ihr irgendeine Art von australischer Identität in eurer Musik verkörpert – oder ob das überhaupt wichtig für euch ist?
Nun, in unserer Musik sind natürlich viele Bezüge zu Amerikanischer Indie-Musik zu finden – oder sogar zu der Britischen Musik, mit der ich aufgewachsen bin. Aber ich würde schon sagen, dass wir als australische Musiker eine gewisse Qualität und Essenz besitzen, die eben daher rührt, dass wir Australier sind. Das ist schwer in Worte zu fassen, aber ich denke, dass es schon einzigartig ist. Wir sind Leute unseres Landes. Wir sind sehr mit unserem Land verbunden. Und wir sind ja auch ziemlich weit verstreut, weil unser Land so riesig ist. Das ergibt eine Authentizität und eine Echtheit, die aus unserer Bodenständigkeit herrührt. Das schlägt sich natürlich auch musikalisch nieder – selbst wenn es bei uns viele verschiedene Stile und Genres gibt. Ich würde sagen, dass unsere Musik echt ist und ohne Filter auskommt. Ich denke auch, dass Australien durch das Internet seine globale Präsenz deutlich bewusster machen konnte, was natürlich cool für uns ist.
Der visuelle Aspekt scheint für euch auch nicht ganz unwichtig zu sein – wie z.B. die verschiedenen, phantasievoll inszenierten Videos belegen; oder auch das Covermotiv, auf dem Du Regenbogen zu weinen scheinst.
Haha. Auf der Scheibe geht es ja um das Alltägliche auf der einen Seite und die Brillanz und Schönheit des Lebens auf der anderen im Allgemeinen. Wir dachten uns, dass es da einfach cool wäre, ein klassisches Schwarz/Weiß-Foto zu verwenden und das mit etwas Phantastischem, Brillantem zu kombinieren. Mich erinnern diese Elemente manchmal tatsächlich an Tränen, aber auch an Strahlen, die das Licht widerspiegeln.
Auch hiermit wird ja eigentlich wieder eine Frage formuliert, richtig?
Ja. Was sehen wir eigentlich? Oder wonach suchen wir? Mir gefällt das Bild sehr gut.
Und wie geht es weiter für die Middle Kids?
Wir nehmen es, wie es kommt. Es ist gerade ja nicht mal sicher, ob es überhaupt eine Zukunft für Musiker in Zeiten der Pandemie geben kann. Wir wollen uns durchbeißen so lange es geht. Aber große Gedanken habe ich mir darüber noch nicht gemacht.